Wieder steht ein Spaziergang an. Es ist 13 Uhr, die Zeit in der Marie am liebsten mit ihrem Schäferhund Charly spazieren geht, weil um die Uhrzeit besonders wenige Hunde unterwegs sind. Sie hat sich die Gassizeiten sehr gut eingeteilt um möglichst wenige Artgenossen ihres Hundes zu treffen. Morgens steht sie schon früh dafür auf. Um 6 Uhr ist der erste Spaziergang, um 13 Uhr der nächste und um 24 Uhr der Letzte. Wenn Charly nämlich andere Hunde an der Leine sieht, mutiert er zur Wildsau.
Schon früh fängt er an sie zu fixieren, der Schwanz geht hoch und von da an kann Marie die Sekunden zählen bis er explodiert. Wütend hängt er sich in die Leine, knurrt und fletscht die Zähne was das Zeug hält. Marie kann ihn dann kaum noch halten. Ein Ausweg erscheint nicht in Sicht-Ablenkung hilft nicht. Für Charly ist in dem Moment einfach der andere Hund wichtiger als jedes Leckerchen und jedes Spielzeug. Marie weiß einfach nicht mehr weiter.
So oder so ähnlich geht es vielen Hundehaltern. Spaziergänge mutieren zum Spießrutenlauf, sind nur noch Stress und ein entspannter Gassigang scheint nicht mehr möglich zu sein. „Warum tut er das?“ und „Wie kann ich das endlich abstellen?“ sind die Fragen die leichter gestellt als beantwortet werden können.
Inhalt
Wie wird ein Hund zum Leinenpöbler?
Die Ursachen sind dafür meist komplex und vielfältig. Eventuell hat der Hund eine schlechte Erfahrung gemacht oder ist generell ein eher ängstlicher Typ. Die Aggressionen sind dann „die Flucht nach vorne“. Ebenfalls kann es sein, dass der Hund Frust schlecht ertragen kann. Wenn er dann nicht zu seinem Ziel hinkommen kann, schlägt die Aufregung in Frust und damit in Aggressionen um. Manche Hunde sind auch einfach nur unterfordert und suchen sich dann einen Weg der Beschäftigung-die Vertreibung potentieller Feinde ist da ein Mittel um seine aufgestauten Energien los zu werden.
Es gibt regelrechte Junkies, die süchtig nach dem „Kick“ des Hormoncocktails sind die in diesem Moment ausgeschüttet werden. Überforderung kann allerdings genauso als Ursache infrage kommen. Ein Hund der viele Aufgaben meint übernehmen zu müssen, steht permanent unter Stress-dies kann ebenfalls zur Aggression gegenüber Artgenossen führen. Häufig ist es auch eine Mischung aus vielen Variablen.
Meist fängt das Problem in der Pubertät des Hundes an. Ein Jahr lang läuft alles sehr gut. Andere Hunde werden freudig begrüßt und es wird viel und gerne getobt. Dann kommt der Knick-das erste Mal gibt es eine Rauferei, das erste Mal bäumt sich der Hund an der Leine auf. Wer hier nicht eingreift, wird später einen waschechten Leinenpöbler haben.
Leinenpöbler: Was kann man dagegen tun?
Um diese Frage beantworten zu können, sollte man sich anschauen was im Kopf des Hundes sich abspielt in diesen Momenten. Die Sinnesreize werden an das Gehirn weitergegeben. Für Emotionen ist das limbische System zuständig. Für Aggressionen ist dabei die Amygdala von besonders großer Bedeutung. Die Großhirnrinde ist für das Denken und die Problemlösung zuständig-problematisch ist aber hier, dass das limbische System und die Großhirnrinde gegensätzlich arbeiten. Um es kurz zu sagen: Reagiert der Hund auf einen Reiz besonders emotional, schaltet er den Kopf aus – überlegtes Handeln ist nicht mehr möglich.
Wie der Hund mit Stress umgeht
Wie oben bereits angedeutet, werden zudem Stresshormone wie Cortison und Adrenalin ausgeschüttet, die den Hund in Alarmbereitschaft versetzen. Der Hund hat nun verschiedene Möglichkeiten mit diesem Stress umzugehen. Das Zeigen von Aggressionen ist eine Möglichkeit davon. Tierversuche haben eindrücklich gezeigt, dass Strategien wie Rückzug in starken und andauernden Stresssituationen sogar zum Tode führen können. Die Aggression ist hier also eine Bewältigungsstrategie, die dem Hund ermöglicht mit dieser für ihn belastenden Situation fertig zu werden.
Erschwerend kommt hinzu, dass diese Strategie für den Hund immer erfolgreich verläuft. Wer schon mal Achterbahn gefahren ist, kennt sicher die Befriedigung und die Freude die man nach einem starken Adrenalin-Schub verspürte. Zudem wird der Hund an der Leine auch immer erfolgreich vertrieben. Der Hund lernt also, dass dieses Verhalten sich für ihn lohnt. Je häufiger dies für ihn so verläuft, desto fester sitzt das Gelernte. Die neuronalen Strukturen kann man sich hierbei um es zu vereinfachen wie Datenstraßen vorstellen. Eine Straße, die sehr häufig und immer wieder gefahren wird, wird immer breiter und schneller, wie eine Autobahn. Dementsprechend wird sie in den entsprechenden Situationen auch immer wieder genutzt.
Dies erklärt warum sich Charly in dem Moment auch für nichts Anderes als die anderen Hunde interessiert. Er hat eine Strategie gefunden, die er auch beibehält und von alleine nicht aufgeben wird. Andere äußere Reize haben kaum eine Möglichkeit zu ihm durchzudringen-gelerntes, belohnendes Verhalten wird ausgeführt, was in diesem Fall sich in der Leinenpöbelei zeigt.
Trotzdem ist man als Hundehalter diesem nicht hilflos ausgesetzt. So vielschichtig, wie die Ursachen sind, so vielschichtig sind auch die Lösungsmöglichkeiten. Alle aufzuzählen und zu erörtern ist an dieser Stelle kaum möglich, weswegen ich mich auf einige wenige beschränken werde.
Hunde sind sensibel für die Stimmungen ihrer Menschen
Kommen wir hier noch einmal zu Marie und ihrem Schäferhund-Rüden Charly zurück. Nicht nur der Hund hat hier bei den Hundebegegnungen Stress, auch Marie hat es. Schon von weitem wird der andere Hund gesehen. Noch bevor Charly diesen bemerkt, wird die Leine kurz genommen, die Hände wandern nach oben, das Adrenalin steigt auch bei ihr und es herrscht nur noch der Gedanke „gleich geht es wieder los“. Charly bemerkt natürlich die Angst und den Stress bei seinem Frauchen-Hunde sind sehr sensibel was die Stimmungen ihrer Menschen angeht und reagieren natürlich auch darauf. Er sieht den anderen Hund und weiß sofort warum Frauchen so angespannt ist. Anscheinend hat sie Angst und kann diesen Stressor nicht vom Rudel fern halten. Charly als guter Schäferhund übernimmt dies natürlich für sie…in Teufelskreis, aus dem es auszusteigen gilt!
Ruhe bewahren
Für den Menschen heißt also die erste Devise: Ruhe bewahren und Automatismen durchbrechen. Aggressionen sind für einen Hund ganz normal und nichts „unnatürliches“ oder gar „bösartiges“. Anstatt Panik zu haben, wenn ein anderer Hund auftaucht, sollte man ruhig sich der Situation bewusst machen. Tief durchatmen, Hände bewusst runter nehmen und locker reagieren-all das kann bereits Wunder bewirken.
Der Hund muss wenn er erst mal die Leinenpöbelei als erfolgversprechende Strategie gelernt hat, eine Neue lernen. Dabei „kämpft“ man aber gegen die Stresshormone und gegen die „Autobahnen“. Es gilt einen neuen Weg dem Hund aufzuzeigen-einen Weg der ihm und dem Menschen hilft.
Es ist dabei erstaunlich wie viel wir unseren Hunden doch durchgehen lassen. Auf Aggressionen wird regelrecht hilflos reagiert. Verzweifelte Versuche mit dem Lecker vor dem Hund herum zu fuchteln sind ein Resultat dessen, anstatt das zu tun was nahe liegend wäre: Dem Hund zu zeigen, dass dies gerade nicht gewünscht ist und der Mensch dafür da ist potentielle Feinde vom Rudel fern zu halten.
Ebenfalls erstaunlich sind die Anforderungen, die viele Hundehalter an ihre Hunde haben. Als Welpe ist es süß, wenn er sich so viel für andere Hunde interessiert. Es wird getobt bis zum Umfallen-der Hund lernt dass andere Hunde „das Größte“ sind. Als erwachsender Hund soll er aber bitte gesittet an anderen Hunden vorbei gehen. Der Schäferhund ist nun plötzlich nicht mehr süß und wird erwachsen. Das weiß der Hund aber nicht! Das übersteigerte Interesse an anderen Hunden wird so bereits im Junghundealter beigebracht. Kommen da noch fehlende Auslastungsmöglichkeiten hinzu, sind die Probleme vorprogrammiert.
Der grenzenlose Hund
Viele Hundehalter neigen zudem heutzutage dazu ihre Hunde „grenzenlos“ aufwachsen zu lassen. An der Leine ziehen? Kein Problem. Er ist halt gerade sehr „aufgeregt“. Der Hund will gerade nicht hören? Kein Problem, er hat halt gerade keine Lust. Man will den Hund ja auch „Hund sein lassen“. So kommt es immer wieder zu skurrilen Situationen, bei dem der Hundehalter seinem Hund regelrecht hinterher läuft. Hundehalter die im Gebüsch stehen, weil ihr Hund an der Leine gerade „da hin wollte“, Hundehalter, die ihren Hund ganz gehorsam folgen, wenn er mal zu einem anderen Hund will usw.
Wer so handelt, muss sich nicht wundern, wenn der Hund in einer für ihn stark ablenkenden und aufregenden Situation sich aggressiv verhält.
Ein Hund der im Alltag nie gelernt hat sich am Menschen zu orientieren und ihm zu vertrauen, wird dies erst recht nicht in einer derartigen Situation tun!
Das erste was man sich also fragen sollte ist, wo man selbst Fehler macht und gemacht hat. Was erwarte ich von meinem Hund? Sind meine Ansprüche vielleicht widersprüchlich aus hündischer Sicht? Oftmals hilft bereits Gehorsam und Konsequenz das Problem des Pöbelns an der Hundeleine in den Griff zu bekommen.
Ursachen für das Leinenpöbeln hinterfragen
Ebenfalls sollte man die Problemursachen näher beleuchten. Ein ängstlicher Hund sollte vorwiegend positive Erfahrungen machen mit anderen Hunden. Auch die Stärkung des Selbstbewusstseins sollte man nicht außer Acht lassen. Ein Hund der Frustrationsaggressionen zeigt, sollte lernen mit diesem Frust umzugehen. Dies kann man auch in Situationen wie beim Warten bevor es raus geht, Warten bevor es Essen gibt, Warten bevor er mit anderen Hunden spielt usw. trainieren.
Überforderte Hunde sollten möglichst den Stress genommen bekommen, den sie im Alltag erfahren. Ein ruhiger Rückzugsort, ein konstanter Alltag, weniger aber dafür hoch qualitative Auslastung helfen dem Hund zu entspannen. Unterforderte Hunde brauchen dementsprechend natürlich ebenfalls eine gute Auslastung. Nasenarbeit ist eine Form der Auslastung die dem Hund viel Konzentration und Ruhe abverlangt und dabei auch noch Höchstleistungen fordert.
Autorin: Nina Dany
Zweiter und letzter Teil der Serie unter Leinenpöblern und Leinenhexen – Trainingsmethoden und Lösungen weiter lesen.
Endlich jemand der auf den punkt kommt. So funktioniert Kommunikation mit dem Hund. Vor allem fordert der Umgang mit einem Tier die volle Aufmerksamkeit, ich kann nur Leittier sein, wenn ich nicht einfach hinter dem Hund „her latsche“ und dabei noch telefoniere, etc. Ich habe sowohl ein Pferd (Isländer, selbstbewusst, in der Herde gehalten) als auch eine 8 jährige Straßenhündin, welche seit 2 Monaten bei uns lebt. Ebenfalls selbstbewusst, der einzige Unterschied zwischen den beiden ist, Fluchttier und Beute auf der einen Seite, Jäger (Wolf) auf der anderen Seite. Bei beiden bin ich Leittier und muss es jeden Tag aufs Neue beweisen.