Damals, als ich den Gelbhund kennen lernte, war ich für eine Organisation tätig, die sich um Kontakte mit so genannten benachteiligten Ländern bemühte, um Hilfe für unsere Mitmenschen, denen es nach der Auffassung unserer angeblich zivilisierten Welt schlecht geht. Unsere Institution war vor allem am Export von Bildungs-Know-how im Schulwesen interessiert, sie wollte Eltern in Afrika und Lateinamerika animieren, ihre Sprösslinge zur Schule zu schicken und sie wollte diese Sprösslinge in schulischen Belangen unterstützen.
Am Dienstag nach Pfingsten ließ mich der Chef rufen.
„Ich will, dass du in die Karibik fährst“, sagte er ohne Einleitung. „Natürlich nicht als fauler, Cuba-Libre trinkender Tourist, sondern als Vermittler zwischen uns und einer ortsansässigen Bildungsagentur, die ich ausfindig gemacht habe, sie heißt Centro de Educación, Erudición y Cultura. Das heißt Zentrum für Bildung, Gelehrsamkeit und Kultur. Ein Bekannter gab mir die Telefonnummer, ich hoffe, ich habe sie richtig notiert.“
Ich war begeistert.
„In die Karibik?“
„Ja, du fährst nach San Pedro de Macorís, wir starten dort eine große Bildungsoffensive. Dafür bekommen wir demnächst Fördergelder vom Bund. Du nimmst gleich einen Vorschuss aus unserer Schwarzgeldkassa mit. Kannst du genug Spanisch?“
Bildungsoffensiven waren meine Sache, Spanisch weniger. Aber wenn du im Beruf Karriere machen willst, gilt jedenfalls ein Grundsatz: Gib nie zu, dass du etwas nicht kannst. Und so antwortete ich so überzeugend, dass ich es um ein Haar selbst glaubte:
„Spanisch? Kann ich mehr als genug.“
„Gut“, sagte der Chef, „du fliegst am Donnerstag. Am Freitag meldest du dich bei unseren Partnern in San Pedro. Falls die Telefonnummer nicht stimmt, suchst du halt andere Partner.
Er reichte mir einen Zettel mit dem Vermerk CEEC – Centro de Educación, Erudición y Cultura, San Pedro de Macorís, Tel. 001 809 529 1091.
Das riesige Flugzeug der stolzen Fluglinie IBERIA spie mich am frühen Morgen in Santo Domingo zusammen mit einer unübersehbaren Schar fauler, Cuba-Libre-hungriger Touristen aus seinem mächtigen Leib. Ich fand einen Bus nach San Pedro, ein eher kleines Vehikel, das die Leute hier Guagua nennen. Die Fahrt durch das wunderschöne Land entschädigte mich für die lange Nacht im Flugzeug. Bis Boca Chica hatten wir Palmen zur Rechten, dahinter das Meer. Dann fuhren wir an niedrigen Hütten vorüber, an Erfrischungsbuden, an Einfahrten zu Strandvillen und Hotels. Die Menschen im Bus waren fröhlich, schnatterten, sangen zu den karibischen Schlagern aus dem Radio. Der Fahrer hatte eine hübsche junge Frau auf dem Schoß, die offenbar im überfüllten Guagua keinen anderen Platz mehr gefunden hatte. Auf Zuruf hielt der kleine Bus, die Aussteigenden wurden wortreich verabschiedet, die Einsteigenden freudig begrüßt.
Dann stand ich irgendwo in San Pedro auf der Straße, links neben mir der große Koffer, rechts ein ungeduldig wartender Motoconcho, der mich sofort mit seinem aufgetunten Moped zu meiner Bestimmungsadresse bringen wollte, die ich nicht kannte.
„¿Adónde?“ fragte er schon zum dritten Mal, „wohin?“
Gestikulierend machte ich ihm klar, dass ich es nicht wüsste, dass ich erst telefonieren müsste. Er reichte mir sein Mobiltelefon.
„İSírvase, por favor!, bedienen Sie sich, bitte.“
Ich bediente mich.
„¡Hola buena, schönen guten Tag!“ Eine freundliche Stimme und nach einer kurzen Pause: „Santiago.“
„¡Hola!“, antwortete ich und las vom Zettel ab: „¿Centro de Educación, Enrudición y Cultura?“
„¿Qué centro, was für ein Zentrum?“
Sodann kurzes Schweigen, ich hatte wohl zu undeutlich gesprochen. Dann noch einmal:
„¡Hola buena!, aquí Santiago, ¡diga!, schönen guten Tag, hier Santiago, sprechen Sie!.“
Das war wohl ein Angestellter des Bildungs- und Kulturzentrums namens Santiago. Ich kramte aus dem tiefsten hintersten Winkel meines verstaubten und dürftigen spanischen Wortschatzes einige Krümel hervor und stammelte sie ins Telefon:
„Aquí Gerhard de Austria. Tengo dinero para educación y cultura. Hier Gerhard aus Österreich. Habe Geld für Erziehung und Kultur.“
Und hastig fragte ich hinzu:
„¿Ahí el Centro de Educación, Enrudición y Cultura? Dort das Zentrum für Erziehung, Gelehrsamkeit und Kultur?“
Schweigen zuerst am anderen Ende der Leitung. Schon befürchtete ich, mich verwählt zu haben, eine Ziffer ist schnell falsch eingetippt oder ausgelassen. Aber dann, nach einer kurzen Pause, kam doch eine Antwort.
„¿Dinero, dinero? Desde luego, aquí es el centro de … ¿de qué? Geld, Geld? Natürlich, hier ist das Zentrum für … für was?“
„De educación, erudición y cultura.”
“Sí”, und nach einer weiteren Pause: “Sí, el centro, desde luego, aquí está este centro. Ja, das Zentrum, natürlich, hier befindet sich das Zentrum.”
Dann fügte er, der himmlische Santiago, dann fügte er hinzu:
„Do you speak English or spreke er Deuts?“
Und dann versprach der Himmlische, mich an Ort und Stelle abzuholen.
Der zweite Teil über die Geschichte des gelben Hundes folgt am 13. Dezember!
[box type=“info“ style=“rounded“ border=“full“]Über den Autor: Gerhard Dinauer, geboren 1941 in Bruck a.d. Mur, Österreich. Studien der Mathematik und Technischen Mathematik an der Universität in Graz und an der Technischen Universität in Graz. Lehrtätigkeit an verschiedenen Höheren Schulen, an der Technischen Universität in Wien und an der Pädagogischen Akademie in Graz. Mitautor mehrerer Lehrbücher, ab 1990 Hinwendung zur Belletristik. Veröffentlichungen seiner Erzählungen in diversen Literaturzeitschriften und Anthologien.
Gerhard Dinauer lebt in Seiersberg bei Graz.[/box]