Früher durfte Hund noch Hund sein. Er hieß Struppi, Lumpi, Rex oder Waldi. Der Hund bewachte den Hof, tötete Ratten, bestieg Nachbars Hündin und suhlte sich im Dreck. Heute heißen viele Hunde wie wir, bekommen die schicksten Accessoires – dürfen sich deshalb natürlich nicht dreckig machen – und haben einen ausgefüllten Wochenplan. Da bleibt natürlich auch keine Zeit mehr, Nachbars Hündin zu besteigen.
Natürlich ist das überspitzt dargestellt. Nicht jeder Hund durfte früher machen was er wollte. Auch wird nicht jeder Hund heute verhätschelt und vertätschelt.
Keinesfalls möchte ich sagen, dass früher alles besser war. Ganz sicher nicht:
- Unkontrollierte Fortpflanzung
- Wenn der Hund krank war, hat man sich ihm einfach entledigt
- Wenig bis gar kein Familienanschluss
Das war früher meist der Fall, wobei es diese Seite auch heute noch gibt.
Aber heute, da gibt es das ganz andere Extrem. Hunde werden heute teilweise als Kindersatz oder Partnerersatz gehalten. Es werden Ansprüche an sie gestellt, die der Hund meist nicht erfüllen kann. Auch wenn der Hund ein sozial komplexes Wesen ist, so hat das Tier keine Moralvorstellung, kein schlechtes Gewissen und weiß nicht um die menschliche Bedeutung von Falsch und Richtig.
Der Hund kann sich großartig auf uns Menschen einstellen und viel lernen. Dennoch ist er eingeschränkt und kann nie ein Kind oder einen Partner so ersetzen, wie es manch ein Mensch gerne hätte.
Ab diesem Punkt kippt die Hundehaltung, in eine nicht mehr artgerechte Haltung sowie ein Eingehen auf die Bedürfnisse des Hundes.
Kleine Hunde sind davon besonders betroffen. Diese werden wie Püppchen angezogen, in Taschen, oder auf dem Arm getragen, bekommen ihr Fresschen am Tisch serviert. Manch kleiner Hund hat sicher noch nie eine Wiese gesehen – bestimmt gibt es sogar extra kleine süße Hundeklos. Diese Hunde können einem wirklich leid tun. Denn, auch wenn sie klein sind, haben sie genau die gleichen Bedürfnisse, wie ein großer Hund. Viele wollen diesen Umstand leider nicht wahrhaben.
Ich erinnere mich an eine Unterhaltung, die zwar nichts mit Hunden zu tun hat, aber zeigt, dass die Vorstellungen von artgerecht weit auseinander gehen können:
Ich bemitleidete einmal Hasen, die den ganzen Tag im Stall hocken müssen und nicht rauskommen. Ich wurde ganz blöd angeschaut und es kam ein:
Wieso denn? Das sind doch extra Stallhasen!
Vielleicht sollte man das den Hasen auch sagen, denn ich glaube kaum, dass sie sich dieser Tatsache bewusst sind. So geht es auch den kleinen Hunden. Vielleicht sollte man ihnen einfach nur sagen, dass sie nun mal keine richtigen Hunde sind. Sollen sie doch ihre Instinkte einfach über Bord werfen. ;)
Nicht nur kleine Hunde haben öfters unter Verhätschelung zu leiden. Mancher großer Hund würde, wenn er könnte, ein anders Leben bevorzugen. Montag wird zum zum Ballett (Dogdance) gegangen, Dienstag Geräteturnen (Agility), Mittwoch Bodenturnen (Obedience), Donnerstag Ruhetag (Fährten), Freitag Zirkeltraining (Longieren) und dann ist endlich Wochenende.
Weil der Hund unter der Woche „nicht richtig ausgelastet wurde“, nimmt man sich am Wochenende extra Zeit und geht mit dem Hund auf Seminare, Schafe hüten sowie auf lange, lange Wanderungen. Damit der Hund auch wirklich ausgelastet wird. Alleine vom Durchlesen dieser Aktivitäten wird es einem schon schwindelig. Wie soll es da den Hunden gehen, die täglich das Programm absolvieren sollen?
Und wenn man dann die Gespräche dieser Leute mitbekommt, versteht man immer mehr, warum heute so viele Probleme im Umgang mit dem Hund gibt und warum Hundeschulen und Hundeflüsterer Hochkonjunktur haben.
Er versteht mich ganz genau.
Letztens hatte er mein Handy kaputt gemacht, da hatte er ein ganz schlechtes Gewissen.
Er macht das nur um mich zu ärgern.
Eigentlich weiß er, dass er das nicht machen darf.
Er lacht mich immer an, wenn ich nach Hause komme.
Diese Aussagen klingen wie über einen Menschen, dabei ist der Hund gemeint! Dem Hund wird ein komplex soziales Verhalten unterstellt, was er natürlich nicht hat. Hunde verstehen weder unsere Sprache, noch schämen sie sich für etwas. Hunde haben kein schlechtes Gewissen, wenn sie das Handy kaputt machen. Sie reagieren einzig und allein auf unsere Stimmung, unsere Körperhaltung, vor allen Dingen auf unsere Körpersprache.
So haben wir einen Hund, dem wir ein volles Wochenprogramm bieten und hochsoziale Kompetenz unterstellen. Das soll noch artgerecht sein?
Wen wundert es dabei, dass der Hund „Verhaltensstörungen“ an den Tag legt, weil er in eine Ecke gedrängt wird und gar nicht mehr weiß, was er machen soll. Denn seine tierischen Instinkte werden unterdrückt, er darf sie nicht mehr ausleben. Er findet, „Mama und Papa“ benehmen sich total blöd. ;)
Weniger beim Hund ist manchmal mehr
Natürlich soll jetzt nicht auf einmal Herbert die Chantal von nebenan bespringen dürfen, Jaqueline das Handy zerstören, oder Hugo machen dürfen, was er will.
Grenzen und Regeln muss es für den Hund geben. Ebenso sozialen Anschluss. Natürlich darf und sollte der Hund seiner Veranlagung auch entsprechend ausgelastet werden. Chantal darf natürlich auch ein schickes Halsband tragen.
Aber, es sollte ein wenig mehr von diesem Kind/Partner-Ersatz abgerückt werden, Hunden nicht zu viele menschliche Züge angedichtet werden und Hund auch mal Hund sein gelassen werden.
In diesem Sinne, knuddelt ruhig mal eure Hunde – aber nehmt ihnen nicht die Luft zum Atmen :)