Der Gelbhund – Teil 2

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Gelbhund

Der Gelbhund – Eine Geschichte von Gerhard Dinauer. Die Geschichte beginnt mit Teil 1 hier.

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Der Motoconcho freute sich, sein Mobiltelefon wieder zu bekommen.

„¿Adónde?“, fragte er wieder und ich antwortete:

„Nix“, und gab ihm hundert Pesos.

Eine halbe Stunde später war Santiago zur Stelle, ein freundlicher, kaffeebrauner Mann in den Dreißigern.

„Wo werde er wohne?“

„Ich weiß es noch nicht, gibt es ein günstiges Hotel?“

„Nix Hotel. Er wohne in schone Apartamento, ich weisse wo, Barrio Restauración, schone Gegend, Calle Hernando Figueroa, schone Straße. Cuesta poco, nur funfsig Dólares pro Nacht, sind tausendachthundered Pesos.“

Er hatte einen alten Toyota. Während der Fahrt musste ich eine Drahtschlinge halten, damit die Türe nicht aufging. In den Linkskurven war der Druck enorm. Wunderbare Physik, dachte ich, immer zur Stelle.

Das Appartement lag im ersten Stock, flaches Dach darüber. Vorraum, winzige Küche, ein kleines Bad mit einem rostigen Duschkopf an der Decke. Santiago sah meinen prüfenden Blick.

„Tanque en el techo, Tank auf Dach, morge Wasser.“

Der Schlafraum war leer bis auf ein großes Bett, kein Schrank. Vor dem Schlafraum, zur Straße hin, die obligate Galerie mit einem schwungvoll gearbeiteten, weiß gestrichenen Metallgitter. Die Straße lag ruhig und leergestorben in der Vormittagshitze. Ein Stuhl stand in der Galerie; hier würde ich später, in der aufkommenden Kühle der Dämmerung, sitzen und die Menschen auf der Straße beobachten.

„Sufride?“, fragte Santiago.

„Ja, sufride“, entgegnete ich. „Wann besprechen wir unsere Arbeit?“

„Welche Arbeit?“

Die Frage erstaunte mich.

„Du weißt doch, Santiago, unsere Bildungskooperation, unsere Arbeit für die Kinder.“

„Kinden?“

Santiago blickte ein wenig verunsichert, fing sich aber sofort und erinnerte sich.

„Naturamente, desde luego, Kinden, Arbeit fur Kinden.“

Und dann fügte er hinzu:

„Mañana, mañana bespreche Arbeit mit Kinden. Jetz noch dinero, Geld, für Miete Apartamento swei Woche, mache veinticincomil Pesos, funfundswanzigtausend Pesos, siebenhundered Dólares.“

 

Als ich bezahlt hatte und Santiago gegangen war, schlug mich die drückende Hitze. Das Appartement war eine Sauna. Wenn ich mich bewegte, brach mir der Schweiß aus allen Poren. Jetzt kam auch der Hunger auf. Im Tank gab es einen kläglichen Rest Wasser, mit den paar Tropfen wusch ich meine Hände und befeuchtete mein Gesicht. Dann legte ich mich auf das breite Bett, vermied jede Bewegung, um die Hitze ertragen zu können.

Irgendwann erwachte ich aus unruhigem Schlaf. Die Sonne berührte nun als große, orangefarbene Kugel die Wedel der Palmen und die niedrigen Dächer im Westen, die Hitze war milder geworden, das Unbehagen nicht, denn jetzt spürte ich nagenden Hunger. Um die Ecke fand ich einen Laden und kaufte Weißbrot, Wurst, Tomaten, Mangos, ein grellbuntes Schreibheft und einen Bleistift. Der Stuhl in der Galerie war wackelig und unbequem. Ich überblickte die Straße, mit den länger werdenden Schatten des späten Nachmittags begann sie sich rasch zu bevölkern, dichter und dichter. Menschen aller Hautschattierungen schlenderten unten vorbei, ich wusste, dass man hier die Hauttönung nach der Farbe des Kaffees benannte – leche, café con mucho leche, café con poco leche, café solo. Kinder spielten auf der Straße, Mädchen und Buben in adretten Schuluniformen gingen vorüber, Mütter gingen zum Einkaufen, Burschen rasten mit frisierten Mopeds um die Wette und Autos hupten sich durch das Gewühl. Eine kleine Katze überquerte plötzlich die Straße, die Kinder verhielten ihr Spiel, die Autos bremsten. Wackelig schlüpfte die Mieze durch das Zaungitter auf der anderen Straßenseite. Hinter dem Gitter lag ein kleiner Hof, gesäumt von einigen niedrigen, baufälligen Gebäuden, offenbar Wohnhütte, Schuppen und Stall.

Das Kätzchen sprang über den Hof, hin zu einer offen stehenden Tür. Und ebendort lag er, im Schatten des Schuppens, halb unter einem Stuhl. Er lag da, lang ausgestreckt und schlief. Der gelbe Hund, schmutzig und groß.

 

Nun war es nicht unangenehm in der Galerie, ich spähte durch das Gitter mit den geschwungenen Stäben, beobachtete die Männer, die vor den Fronten der niedrigen Häuser ihre Konferenzen abhielten oder ihre Motos reparierten und den vorübergehenden Mädchen glänzende Blicke und kecke Worte gaben, ich beobachtete die Frauen, die mit gestreiften Plastiksäckchen in der einen und mit glaskugelbezopften kleinen Mädchen an der anderen Hand vom Einkaufsladen kamen.

Das Zentrum meiner Beobachtungen aber war der gelbe Hund. Er hatte offenbar den ganzen Nachmittag vor dem Schuppen geschlafen; nun erhob er sich schlaftrunken, drehte sich auf die andere Seite und ließ sich mit einem lauten Seufzer wieder zu Boden plumpsen.

Eines meiner Lieblingsgedichte kam mir in den Sinn. Ein Poem von Ernst Jandl, das Gedicht vom gelben Hund:

 

der hund wischt sich am hund den mund gern ab

nämlich am hund der er nicht selber ist

wenn aber er allein und hund nur selber ist

wischt gern an sich den mund er selber ab

 

so hält auch gelb sich lieber auf bei blau

grau grün rot lila – steht jedoch nur gelbes

korn vor gelber villa, gelben himmel drüber

ist auch das gelb sich selbst am liebsten lieber.

 

Als die Sonne unter die Dächer gesunken war und die Dämmerung abrupt eingesetzt hatte, kam ein sehr wohlgenährter Mann aus der gegenüber liegenden Wohnhhütte, stellte dem Gelbhund eine große Schüssel vor die Schnauze und setzte sich auf den Stuhl. Der Hund hob den Kopf, schnupperte an der Schüssel, richtete sich mühevoll auf, zerrte den Inhalt seines Napfes, offenbar Hühnerköpfe und Hühnerfüße, heraus auf den Lehmboden und verschlang alles durch gieriges Hinschnappen in kürzester Zeit. Dann seufzte er tief und ließ sich wieder fallen. Ich holte das frisch erworbene Schulheft und den Bleistift und versuchte Worte zu finden, um die Szene zu skizzieren. Natürlich kann sich mein lyrisches Können bei weitem nicht mit dem Genie des großen Wortmalers Ernst Jandl messen, doch ich war mit meinem Werk zufrieden:

 

sein herr sich satt im schatten bäuchelt,

der gelbhund weils ein huhn hinmeuchelt.

dann leckt er sattiglich die leffzen,

kann nun zu fuß des herren schleffzen.

 

Der dritte Teil über die Geschichte des gelben Hundes folgt am 14. Dezember!

[box type=“info“ style=“rounded“ border=“full“]Über den Autor: Gerhard Dinauer, geboren 1941 in Bruck a.d. Mur, Österreich. Studien der Mathematik und Technischen Mathematik an der Universität in Graz und an der Technischen Universität in Graz. Lehrtätigkeit an verschiedenen Höheren Schulen, an der Technischen Universität in Wien und an der Pädagogischen Akademie in Graz. Mitautor mehrerer Lehrbücher, ab 1990 Hinwendung zur Belletristik. Veröffentlichungen seiner Erzählungen in diversen Literaturzeitschriften und Anthologien.

Gerhard Dinauer lebt in Seiersberg bei Graz.[/box]

 

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