Bellas Verhältnis zu Carly war nicht von Anfang an das Beste. Zuerst war sie enttäuscht, weil das kleine Ding immer nur ängstlich quietschte, wenn man es mit einem Pfotenschlag zum Spiel aufforderte. Dann hatte sie Angst vor der kleinen Schwester, die auf einmal einen vom Tierarzt angeordneten Trichter trug. Und schließlich war sie nur noch genervt, weil Klein-Carlchen seine Angst überwunden hatte und nun ihrerseits zum Angriff überging.
Kaum öffnete Bella am Morgen die Augen, stand ihr ihre Schwester gegenüber und stürzte sich spielerisch auf sie. Bella, die schon immer eine bekennende Langschläferin war, konnte so viel Tatendrang am Morgen nicht ausstehen. Und überall musste sich das nervige Ding dazwischen drängeln. Beim Fressen, beim Spielen mit Herrchen, beim Kuscheln mit Frauchen. Nirgendwo hatte Bella mehr ihre Ruhe.
Doch dann kam der Tag, an dem Bella das erste Mal Nutzen aus Carlys Hau-drauf-Mentalität zog.
Wir drei waren gerade auf dem Rückweg von einem Spaziergang durch den Wald und nahmen die Abkürzung quer über die Wiese, da hörte ich eine bekannte Stimme aus einiger Entfernung rufen: „Maggie! Maggie hier hin!“ Maggie, die Rhodesien Ridgeback-Hündin… Bellas Erzfeindin. Bella war gerade 12 Wochen alt gewesen, als Maggie sie das erste Mal verprügelt hatte. Es blieb leider nicht bei diesem einem Mal, da Maggies Herrchen der Meinung war, Maggie wäre nur an der Leine so zickig. Ohne Leine wäre sie ganz brav.
Leider wusste Maggie das nicht und ließ sich auch die nächsten drei Mal nicht davon überzeugen. Wenn wir sie sahen, machten wir sofort einen riesen Bogen und Bella versteckte sich hinter mir. Kaum hatten Bella und ich die Stimme von Maggies Herrchen gehört, blieben wir wie angewurzelt stehen. Da war sie schon. Es war zu spät zum Abhauen. Das wussten wir beide. In wildem Galopp kam sie auf uns zugestürmt und ich sah in ihren Augen, was sie Bella mitteilen wollte: „Jetzt gibt’s Dresche!“
Noch fünf Meter, drei Meter, zwei… Da tauchte auf einmal Kamikaze-Carly auf. Ich hatte sie in meiner Panik komplett vergessen. Hinter einem Busch war sie hervorgetreten und hatte sich direkt neben Bella gestellt. Überrascht von der fremden Hündin gab sie einen kurzen, aber beeindruckenden Beller von sich. Breitbeinig und mit wild entschlossenem Blick stand sie da. Und das Wunder geschah: Maggie stoppte ab. Ihre Augen weiteten sich und sie sah von einem Schweizer zum Anderen. Innerhalb kürzester Zeit, schien sie zu berechnen, wie wahrscheinlich es war, dass sie beide Schwestern vermöbeln und trotzdem unversehrt aus der Sache heraus kommen konnte.
Da kam ihr Herrchen um die Ecke. „Maggie!“, brüllte er und wir alle atmeten erleichtert auf, als sie tatsächlich herum drehte und sich von ihm anleinen ließ. Kaum an der Leine, pöbelte sie uns von der Seite an, nach dem Motto: „Seid froh, dass mein Herrchen mich fest hält, sonst gäb’s aber ganz übel eins über die Rübe!“
Bella und Carly standen immer noch nebeneinander und wir warteten alle ganz ruhig, bis Rüpel-Maggie samt Herrchen wieder um die Ecke verschwunden waren. Als sie nicht mehr zu sehen waren, geschah etwas Wundervolles. Bella und Carly wandten im selben Moment den Kopf und sahen sich einen kurzen Moment an. In diesem Moment schienen sie eine Einheit zu sein und gemeinsam trabten sie los zum nächsten Pferdeapfel, um sich diesen geschwisterlich zu teilen.
Autorin: Lena