In der Dog Care Clinic in Sri Lanka geht es Schlag auf Schlag. Ab dem frühen Morgen kommen Besitzer mit ihren Tieren zur Behandlung, während gleichzeitig die Fänger der Klinik routiniert einen Straßenhund nach dem anderen zur Kastration bringen. Die zwei Tierärztinnen und drei Veterinärassistenten sind also schon gut beschäftigt als plötzlich ein Notfall eingeliefert wird.
Ein Streuner wurde angefahren und mit seinen Verletzungen einfach am Straßenrand zurückgelassen. Tagelang muss er sich gequält haben, bis Mitarbeiter der Klinik ihn zufällig entdeckten. Weder der Unfallverursacher noch Anwohner oder Passanten interessierten sich für sein Schicksal. Das Rückgrat ist gebrochen und in seinen großflächigen Wunden haben sich schon Maden eingenistet, die sich durch Schädel und Körper fressen. Hier bleibt für die Tierärzte nur die traurige Pflicht das Leiden zu beenden.
Dog Care Klinik kümmert sich um Straßenhunde
Schon geht das Tor wieder auf und ein Mann mittleren Alters trägt mit sorgenvoller Miene seinen Hund in die Klinik. Er hat ihn in einen dunklen Stoff eingewickelt. Als die Tierärztin den Stoff vorsichtig entfernt, stockt mir der Atem. Fast der gesamte Rücken des armen Tieres ist verbrannt. Ein Nachbar hatte ihn nach einem Streit mit heißem Wasser übergossen. Blacky bekommt sofort Schmerzmittel und wird zur Behandlung einige Wochen als Intensivpatient in der Klinik bleiben müssen. Brandverletzungen sind nicht nur äußerst schmerzhaft, sondern bei dieser Großflächigkeit auch lebensbedrohlich.
An diesem Tag, einem meiner ersten in der Klinik, lerne ich, dass man sich inmitten der Grausamkeiten eine gesunde Psyche nur mit etwas Distanz bewahren kann, denn die maßlose Ignoranz den Tieren gegenüber lässt sich kaum ertragen. Ein Jahr verbringe ich in der Dog Care Clinic und lerne in dieser Zeit viel über Tierschutz, Sri Lanka und auch mich selber.
Gegründet wurde die Klinik von Marina Möbius. Die Deutsche verbrachte vor mehr als zehn Jahren ihren Urlaub in Sri Lanka und war entsetzt über die schlimme Situation der Straßenhunde, denn das Paradies unter Palmen ist für Hunde zumeist die Hölle auf Erden. Überall war das Elend zu sehen. Ausgemergelte, kranke, verletzte und misshandelte Hunde. Sie begegnete gelähmten Streunern, die ihre blutigen Gliedmaßen hinter sich herzogen, Welpen, die nach Unfällen noch lebend an den Straßenrand geschoben wurden und Hunden, die mit Steinen oder Messern attackiert wurden. Als große Tierliebhaberin konnte Marina nicht tatenlos zusehen und beschloss, etwas gegen das Leid der Tiere zu unternehmen. Sie kaufte ein Grundstück, ließ sich medizinisch ausbilden und eröffnete 2007 die Dog Care Clinic in Mihiripenna im Süden des Landes.
Kastration, Impfungen und Behandlung von Tieren
Seitdem ist sie in unermüdlichem Einsatz. Mit einem konsequenten Kastrationsprogramm wird die unkontrollierte Vermehrung der Straßenhunde eingedämmt, Massenimpfungen schützen Tiere und Menschen vor tödlich ansteckenden Krankheiten und in der professionell ausgestatteten Klinik können sowohl Streuner als auch Besitzerhunde und andere Kleintiere behandelt werden. Für die arme Bevölkerung sind diese Behandlungen kostenlos.
Ausgesetzte Welpen werden liebevoll aufgepäppelt und anschließend an einheimische Familien vermittelt. Kranke, behinderte und alte Hunde können auf dem 16.000 m² großen Gelände ein Leben in Würde verbringen.
Das tatsächliche Ausmaß des Projekts und sein riesiger Einfluss in der Umgebung werden mir erst mit der Zeit bewusst als ich auch die Arbeit außerhalb des Klinikgeländes begleiten kann.
Futter für Straßenhunde in Sri Lanka
Jeden Tag wird eines der landestypischen dreirädrigen Tuktuks mit über 30 Kilogramm Trockenfutter, mehreren großen Töpfen Reis und Suppe sowie einer großen Plastikwanne voller Würstchen und einer Tasche mit Notfallmedikamenten bepackt. Nilan und Saman, zwei der über 40 einheimischen Mitarbeiter, versorgen auf ihrer Tour Streuner und auch Hunde armer Besitzer mit Futter und Medizin. Um Punkt 12 Uhr geht es los. Das Team fährt jeden Tag die gleiche Route ab. So wissen die Hunde genau, wann es wo etwas Leckeres zum Futtern gibt. An den Sammelplätzen warten bereits die hungrigen Mäuler.
Voller Vorfreude bellen sie und laufen schwanzwedelnd um das Tuktuk herum. Saman verteilt die Näpfe, kontrolliert ganz nebenbei den Gesundheitszustand der einzelnen Tiere und zieht hier und da ein paar Zecken aus dem Fell. Dann geht es auch schon weiter. Es gibt ein paar besonders clevere Fellnasen, die meinen es würde nicht auffallen, wenn sie an der nächsten Station ihre Schnauze wieder ins Tuktuk stecken, doch Saman kennt jeden einzelnen der rund 300 Hunde, die auf dieser Tour gefüttert werden.
Unser Ausfug ist nicht nur dazu da, Hunde mit Nahrung zu versorgen, sondern ermöglicht es ein großes Gebiet um die Klinik unter Kontrolle zu halten. Kranke und neue Hunde können sofort identifiziert und zur Behandlung oder Kastration in die Klinik gebracht werden. Darüber hinaus ist aber auch die Präsenz in den umliegenden Dörfern wichtig und der Kontakt zu den Besitzern.
Aufklärungsarbeit
Noch immer sehen die meisten der Singhalesen in der Kastration ihres Hundes einen Eingriff, der ihren buddhistischen Prinzipien widerspricht. So ist Aufklärungsarbeit gefragt, die immer wieder zum Erfolg führt – auch wenn dafür manchmal ein Deal eingegangen werden muss: die Klinik füttert den Hund auf der Tour, dafür darf er aber kastriert werden. So arbeitet sich die DCC Schritt für Schritt voran.
Es ist schon kurz vor Sonnenuntergang, als wir mit leeren Töpfen und Näpfen in die Klinik zurückkehren. Nachdem das Tuktuk geputzt ist, haben wir Feierabend. Die Spätschicht wird noch bis 21 Uhr die Hunde auf dem Gelände versorgen und neue Patienten aufnehmen. Bis 24 Uhr gibt es außerdem eine Rufbereitschaft für schwere Notfälle.
Wenn ich morgens die Klinik betrete, weiß ich nie, was mich erwarten wird. Heute begegne ich der ersten Überraschung schon vor dem Tor. Hinter einem Busch lugt ein kleiner weißer Kopf hervor und ein ängstliches Augenpaar guckt mich an. Vorsichtig nähere ich mich dem Welpen und bringe ihn in Sicherheit. Es ist offensichtlich ein ausgesetzter Besitzerhund. Ich taufe sie auf den Namen Milky.
Meine neue Freundin Milky hat noch Glück gehabt, denn ihr gesundheitlicher Zustand ist gut. Meistens sind die kleinen Körper der Welpen bereits von den Spuren des harten Lebens auf der Straße gezeichnet. Fast alle haben Flöhe, Zecken, aufgeblähte Bäuche von Würmern und infizierte Wunden aufgrund von Räude. Manche haben sich Verletzungen zugezogen, weil sie aus dem fahrenden Tuktuk einfach vor die Klinik geworfen oder von Tierquälern misshandelt wurden. Es gibt Wochen, in denen muss die Dog Care Clinic mit Dutzenden neuer Welpen auf einen Schlag zurecht kommen, die mit viel Pflege, Liebe und Aufmerksamkeit großgezogen werden, bis sie über das ReHome-Programm vermittelt werden können.
Keine Vermittlung von Straßenhunden in das Ausland
Obwohl fast täglich Welpen vor der Klinik ausgesetzt werden, exportiert die Dog Care Clinic die Probleme nicht ins Ausland. Die Hunde werden ausschließlich an Personen im Süden Sri Lankas vermittelt. Es ist Marina wichtig die medizinische Versorgung auch weiterhin gewährleisten zu können. Im Alter von acht Monaten werden die ReHome-Hunde von Zuhause zur Kastration abgeholt – eine gute Gelegenheit die Haltebedingungen zu überprüfen.
Leider gibt es aber nicht genügend Interessenten und so bleiben kontinuierlich Welpen zurück, die kein Zuhause finden. Vor allem Weibchen und braune Hunde haben es schwer. Sie sind in den Augen der Singhalesen nicht schön, nutzlos und wertlos. Kontinuierlich steigt die Anzahl der Tiere auf dem Gelände, da zusätzlich auch ausgewachsene Hunde in Nacht- und Nebelaktionen vor der Klinik angebunden werden, Besitzer ihre Hunde nach erfolgreicher Behandlung „vergessen“ abzuholen oder kranke Streuner aufgenommen werden, weil sie auf der Straße nicht überlebensfähig sind. Man ist froh über jedes gerettete Leben, aber mit jedem Erfolg steht auch schon der nächste Karton vor der Klinik. Es ist das sprichwörtliche Fass ohne Boden – und das obwohl bereits mehr als 50.000 Hunde kastriert wurden.
Marina liegen nicht nur die Tiere am Herzen, sondern auch die Menschen – ganz besondere die ärmeren und älteren der Bevölkerung. So kam sie auf eine geniale Idee, um Tierschutz mit Hilfe für bedürftige Menschen zu verbinden. In Ergänzung zum normalen Rehome-Programm gibt es das sogenannte DCC 50+.
Ältere Einheimische kümmern sich um Hunde gegen eine kleine Rente
Hier werden ausgewachsene Hunde an ältere arme Einheimische vermittelt, die sich um die Tiere kümmern und im Gegenzug eine monatliche Rente von 35 Euro erhalten. Für die Klinik selber entstehen pro Hund Kosten in Höhe von rund 70 Euro im Monat. Das Programm ist ein Riesenerfolg. Über 100 Hunde wurden so bereits vermittelt und sie alle sind Botschafter für ein gutes Verhältnis zwischen Mensch und Tier.
In der Dog Care Clinic wird sehr transparent gearbeitet und daher ist es mir möglich auch die Kontrollbesuche zu begleiten. Wieder geht es mit dem Tuktuk durch Reisfelder und über kurvige schmale Dschungelpfade an Palmen und Bananenstauden vorbei tief ins Inland und die ärmlichen Dörfer. Wir besuchen viele 50+-Senioren und mir schwirrt schon der Kopf von den zahlreichen Eindrücken, als wir zu der letzten Familie für den heutigen Tag kommen.
Wir stoppen vor einer Holzbretterbude, aus deren Dunkelheit ein älterer, etwas buckliger Herr mit freundlichem Gesicht tritt. Sein rechtes Auge ist mit einem Pflaster zugeklebt, da er sich wenige Tage zuvor einer Star-Operation unterziehen musste. Die Klinik übernahm auch hierfür die Kosten. Vorsichtig folgt ihm ein etwas scheuer weiß-brauner Hund. Vor dem Haus liegen zwei weitere Hunde, die sich im Schatten der Bäume ausruhen. Kumara, der Mitarbeiter mit dem ich heute unterwegs bin, stellt mir den Mann vor. Er wird von Bekannten „Lottery uncle“ genannt, da er früher mit dem Fahrrad Lotterie-Lose verkauft hat.
Mit seinen mittlerweile 70 Jahren und etwas krummen Beinen ist er nicht mehr in der Lage zu arbeiten. Eine Rente bekommt er nicht. Da auch seine Frau nicht arbeiten kann und ihr Sohn seit einer Bombenexplosion im Bürgerkrieg in Sri Lanka stark behindert ist, sind die finanziellen Mittel sehr knapp. Sie sind seit Anfang 2015 Teilnehmer des 50+ Programms. Erst bekamen sie Sidney, den schüchternen braun-weißen Rüden, kurz darauf folgte Iron und schließlich auch Perle, da das Ehepaar zu richtigen Hundeliebhabern wurde. Kumara erkundigt sich nach dem Verlauf der Operation und spritzt Sidney seine Impfauffrischung. Zum Abschluss kriegt jeder der drei Hunde noch ein Würstchen. Dann machen wir uns auf den Rückweg in die Klinik.
Während mir der Fahrtwind um den Kopf rauscht, verarbeite ich die Eindrücke des Tages. Ich bin sehr gerührt und erkenne, wie wichtig diese Klinik in Sri Lanka mittlerweile geworden ist – und das nicht nur für die Hunde, sondern auch für die Menschen. Mit diesem durchdachten, ganzheitlichen und erstaunlich professionellem Konzept sowie ihrem schier unendlichen Einsatz zeigt Marina Möbius mir, dass man als Einzelperson tatsächlich etwas bewegen kann.
Spenden willkommen
Allerdings sind damit auch viele Opfer verbunden, denn ein Projekt wie die Dog Care Clinic lässt sich nicht nebenbei führen. So wie auch die Klinik von morgens früh bis spät in die Nacht an allen 365 Tagen im Jahr geöffnet ist, ist auch Marina pausenlos im Einsatz. Auf Marinas Schultern liegt eine schwere Last der Verantwortung. Es ist Verantwortlichkeit gegenüber den Hunden, den Mitarbeitern und all jenen Tierbesitzern, die von der Klinik Unterstützung erhalten und von der einzigartigen Arbeit profitieren. Das Projekt wird noch zu über 80 Prozent von ihr alleine finanziert. Von der Regierung Sri Lankas erfährt sie keinerlei Unterstützung. Sie ist daher dringend auf die Hilfe von tierlieben Menschen angewiesen, damit auch weiterhin sowohl Hunden wie Blacky, Milky und Sidney als auch Menschen wie dem Lotterie-Onkel geholfen werden kann.
Die Klinik kann man mit Patenschaften, Geldspenden, Sachspenden, über kostenlose Partnerprogramme oder als Flugkurier unterstützen. Alle Informationen dafür und noch mehr Eindrücke finden sich auf www.dogcare-clinic.eu. Über Facebook informiert die Klinik tagesaktuell über besondere Ereignisse.
Die Autorin Bettina Schlüter ist 30 Jahre alt und kommt aus München. Für eine Forschung im Rahmen ihres Masterstudiums der Ethnologie war sie mehrere Monate in Sri Lanka und hat dort auch die Arbeit der Dog Care Clinic kennengelernt. Nach Abschluss des Studiums hat sie beschlossen, noch einmal für längere Zeit nach Sri Lanka zu gehen und für die Klinik zu arbeiten. Zu ihren Aufgaben gehörten administrative Tätigkeiten, die Fütterung der Hunde, Kontrolle der Sauberkeit auf dem Gelände, das Fotografieren der Hunde und Klinikabläufe für Facebook und die Homepage darzustellen sowie Führungen für interessierte Besucher zu machen.
Hallo, mich würde interessieren warum kein export ins Ausland möglich ist?